Lieber Klaus, am kommenden Wochenende, dem 24./25. März 2018, findet die 13. BuchDruckKunst-Messe im Museum der Arbeit statt. Dass du dir trotzdem Zeit für unser Gespräch genommen hast, finden wir einfach großartig!
„Drucken bleibt ein Abenteuer“: Mit dieser Abwandlung des Bonmots des Schriftsetzers und berühmten Holzschneiders HAP Grieshaber ist dein Editorial zum Magazin der diesjährigen BuchDruckKunst-Messe überschrieben. Was genau sind die Herausforderungen, vor denen Drucker gerade heutzutage stehen?
„Den“ Drucker gibt es so nicht mehr, mit diesem Begriff verbindet man heute technisches Gerät. Grieshaber meinte ja druckende Künstler, die das deshalb tun, weil sie ein Anliegen vorantreiben möchten. Zu seiner Zeit begann der Buchdruck zu verschwinden, und eine rasante Veränderung nahm ihren Lauf. Heute gibt es vielfältige Möglichkeiten, Projekte auch in kleinen Auflagen in hoher Qualität zu realisieren, traditionelle mit digitalen Verfahren zu kombinieren. Allerdings ist die Zahl der Sammler und der Institutionen, die Ankäufe tätigen, seit Grieshabers Zeiten stetig geschrumpft, und die Frage ist, wie ein neues Publikum gefunden und begeistert werden kann.
Von 1981 bis 1986 hast du an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg Visuelle Kommunikation studiert und noch während des Studiums 1984 gemeinsam mit Artur Dieckhoff die Buchdruckwerkstatt „Schwarze Kunst“ gegründet. Seit 1986 bist du als freier Künstler in Hamburg tätig, arbeitest als Gestalter, Drucker und Verleger von Künstlerbüchern mit Originalgrafiken. Deine bevorzugte Technik ist der Holzschnitt in unterschiedlichsten Variationen, oft kombiniert mit traditionellen Blei- und Holzschriften. Du hast mit zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern zusammengearbeitet, Felix Martin Furtwängler, Antonio de Andrés-Gayón, Raimund Pallusseck, Tita do Rêgo Silva, den „Rixdorfern“, um nur einige zu nennen. Deine Arbeiten sind im Rahmen vieler Ausstellungen zu sehen gewesen, unter anderem im Museum Schloss Gottorf, im Gutenberg Museum Mainz, dem Forum Book Art Hamburg, der Albrecht Dürer Gesellschaft Nürnberg und im Druckmuseum Rendsburg. Sie sind ebenso in öffentlichen Sammlungen zu finden wie in der Deutschen Bücherei Leipzig, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach, dem Klingspor-Museum Offenbach und dem Museum van het Boek, Den Haag. Welche Arten von Kommunikation ermöglichen dir deine unterschiedlichen Tätigkeitsfelder, und wie befruchten sich deine Schwerpunkte gegenseitig?
Das Schöne an meiner Arbeit ist, dass Auftragsarbeiten und eigene Projekte kein Gegensatz sind, sondern vieles, was durch experimentelles Drucken und das Ausprobieren neuer Materialien entstanden ist, sich auch in der Zusammenarbeit mit anderen Künstlern und Auftraggebern umsetzen lässt. Der Holzschnitt ist die älteste grafische Vervielfältigungstechnik, und dennoch gibt es immer wieder neue und erstaunliche Varianten. Die können expressiv-kantig, aber auch weich und malerisch sein. In Kooperation mit der Büchergilde und dem Museum der Arbeit entstand so die Reihe „Edition Die Holzschnittbücher“, die mit dem letzten Buch „Einübung ins Paradies“ von Ingo Schulze mit Farbholzschnitten von der Leipziger Künstlerinnengruppe augen:falter ihren Höhepunkt und Abschluss fand.
Was bedeutet der Begriff „Schwarze Kunst“, woher stammt er und was ist aus eurer Buchdruckwerkstatt geworden?
Zum einen ist natürlich die Druckerschwärze gemeint, also Farbe, die anfangs aus Leinöl und Ruß hergestellt wurde. Zum anderen waren die meisten Zeitgenossen Gutenbergs ja Analphabeten, denen das Lesen und Schreiben wie auch die Herstellung von Büchern als magische Tätigkeit erschien. Und wir haben uns seit 1984 die „Magie für Großstadtgeister“ auf die Fahnen geschrieben.
Unser Fundus an Blei- und Holzlettern wuchs immer weiter an, und passende Räumlichkeiten wurden immer teurer. So haben wir 2002 im Aller-Leine-Tal eine alte Scheune ausgebaut und sind mit der Druckwerkstatt dorthin gezogen. Die Mietpreise sind seitdem weiter rasant gestiegen, und wir haben diesen Schritt nicht bereut. Zumal auf dem Land ein erheblich konzentrierteres Arbeiten möglich ist.
„Dem soliden und aufwendigen Handwerk des Buchdrucks steht die leichtgängige und schwerelose Technologie des Internets gegenüber. Ich bin mit Vergnügen in beiden Welten unterwegs“, hast du mal auf deinem Blog geschrieben. Schaut man sich deine Arbeiten an, dann fallen einem als Resultat dieses Wanderns zwischen den Welten sowohl die Vielfalt der zum Einsatz kommenden Techniken als auch der spielerisch anmutende Umgang mit Formen und Farben auf, die Bereitschaft, sich dem Wachsen von Material und Stoffen anzuvertrauen und schöpferisch mit ihnen zu experimentieren. Tradition und Moderne, so viel steht fest, finden bei dir in außerordentlich produktiver Spannung stärker zusammen als bei vielen anderen Buchkünstlern, und es entstehen Werke, die den Blick des Betrachters auf magische Weise zu fesseln vermögen. Was haben dich die klassischen Arbeitsweisen gelehrt, das auch in der Arbeit mit modernster Technik nach wie vor eine Leitlinie bildet, und welchen Gewinn bedeuten moderne Arbeitsweisen für dein Schaffen insgesamt?
Der Vorteil digitaler Arbeit ist eindeutig die Mobilität. Große Text- und Bildmengen lassen sich spielend bewältigen. Allerdings ist man oft mit Updates, Softwareproblemen etc. beschäftigt, was viel Zeit kostet. Mein acht Jahre alter iMac ist schon „retro“ − die frischesten Säue werden in immer kürzeren Abständen durchs Dorf getrieben. Da ist es eine Erholung, parallel mit Hardware zu arbeiten, die seit Generationen funktioniert. Die „klassische Arbeitsweise“ ist sozusagen immer wieder die Erdung, sich auf Wesentliches zu konzentrieren.
„Moderne Arbeitsweisen“ bedeuten dagegen viele Entscheidungsmöglichkeiten. Projekte lassen sich realisieren, die vor zwanzig Jahren nicht finanzierbar oder nicht in der gewünschten Qualität umsetzbar gewesen wären. Ein Beispiel: Das bereits erwähnte Buch „Einübung ins Paradies“ war schnell vergriffen und ist als Neuausgabe im März bei S. Fischer in hoher Auflage erschienen. Wichtig waren mir eine Reproduktion und ein Naturpapier mit schöner Haptik, die dem Original möglichst nahekommen. Wir konnten alles optimal im Grafischen Centrum Cuno in Calbe bei Magdeburg mit modernster Technik umsetzen − und das zu einem sehr attraktiven Preis.
Für ARTLIT hast du Jean Pauls berühmte Liebeserklärung an die Welt der Bücher umgesetzt. Dafür hast du die 1938 vom deutschen Schriftgestalter Martin Wilke entworfene Type „Caprice“ gewählt und dann die von Johannes Follmer in der Papiermühle Homburg handgeschöpften Büttenbögen im Museum der Arbeit auf einer Grafix-Andruckpresse bedruckt. Warum diese Schrift? Und was ist dir grundsätzlich wichtig, wenn du vor der Aufgabe stehst, einen Text typografisch zu gestalten?
Für den Handsatz steht nur eine überschaubare Menge an Bleischriften zur Verfügung, was aber kein Nachteil sein muss. Eine Liebeserklärung macht man ja nicht in Fraktur oder einer Groteskschrift − oder anders ausgedrückt: Ein Blumenstrauß kommt der Sache näher als eine Kuckucksuhr oder ein Gutschein für den Baumarkt. Die Beschränktheit der Mittel im traditionellen Satz, der langjährige Umgang damit, führt zu einer gewissen Disziplin im Umgang mit Schrift. Also auch via Indesign nicht zu viel Typen zusammenmixen, zerren, quetschen und verunstalten.
Entscheidend ist selbstverständlich der Inhalt eines Textes. Bei meinem letzten Werk „Das Meer. La Mer. The Sea“ habe ich beispielsweise die „Libertad“ verwendet, eine wunderbare moderne Schrift, gesetzt in einem freien Zeilenfall, der die Bewegung der Gezeiten wiedergibt.
Auf der Website der Edition Klaus Raasch findet sich ganz prominent ein wunderschönes Zitat aus dem „Buch der Unruhe“ von Fernando Pessoa: „Unter Kunst verstehen wir alles, was uns entzückt, ohne dass es uns gehört – die Spur unserer Durchreise, das einem anderen Menschen gewährte Lächeln, den Sonnenuntergang, das Gedicht, das objektive Weltall.“ So manche deiner eigenen wie auch der Kooperationsarbeiten mit anderen Künstlern basieren auf literarischen Vorlagen. Für den Münsteraner Kunstverleger Kleinheinrich hast du Werke von Autoren wie Gunnar Ekelöf, Hans Magnus Enzensberger, Thomas Kling, Cees Nooteboom und Botho Strauß gesetzt und gedruckt. Magst du was zu deinem Verhältnis von Text und Bild sagen?
Das Schöne an der langjährigen Zusammenarbeit mit Josef Kleinheinrich ist, dass alle Beteiligten − Autoren, Künstler, Drucker, Buchbinder, Verleger − ein optimales Ergebnis wollen. Wenn es also ein bestimmtes Papier sein muss, auch wenn es das teuerste ist, dann ist das eben so. Und auch die Herstellung muss nicht auf den letzten Drücker erfolgen. Die Bilder sind keine Illustrationen, sondern wie auch die Texte eigenständige Elemente. Die Seiten können großzügig gestaltet werden, es bleibt viel meditativer Raum. Das kommt meiner eigenen Arbeitsweise sehr entgegen.
Die Vermittlung des klassischen Buchdrucks war dir immer ein Bedürfnis. An den Schnell- und Handdruckpressen der Abteilung Grafisches Gewerbe im Hamburger Museum der Arbeit hast du viele Jahre interessierten Besuchern den klassischen Buchdruck vorgeführt. Seit 2017 zeichnest du als Organisator verantwortlich für die von Stefan und Wibke Bartkowiak initiierte und lange Jahre liebevoll vom Verein für Buchdruckkunst betreute BuchDruckKunst-Messe im Museum der Arbeit, auch um, wie du im aktuellen Magazin zur Messe schreibst, „abseits von Industrieromantik und Handwerker-Folklore neue Wege in der Vermittlung druckgrafischer Kunst zu suchen“. Warum bedarf es in einer Welt, in der das individuelle Handwerk immer mehr durch kostengünstige Industrieproduktion verdrängt wird, also seltener und, wie man meinen sollte, begehrter werden müsste, einer solchen Vermittlung?
Es gibt ja die berühmte Forderung von Kurt Tucholsky: „Macht Bücher billiger!“ An diesem Punkt sind wir in den westlichen Industriegesellschaften schon lange, das ist Segen und Fluch zugleich.
Bücher machen ist eine Kultur, um noch einmal Grieshaber zu zitieren, und das Wissen darum ist wohl den meisten verloren gegangen. Im Museum der Arbeit können wir dank der Mitwirkung vieler ehrenamtlicher Kollegen aus dem Grafischen Gewerbe handwerkliche Tätigkeiten vermitteln. Aber auch industrielle Arbeitsschritte verdeutlichen, wie sie bis in die 1970er Jahre noch üblich waren.
Gerade eine Generation, die mit Smartphone und Tablets groß wird, ist interessiert an allem, was zischt, rattert und knattert, an im wahrsten Sinne des Wortes Begreifbarem. Und bei aktuellen Produktionen kann man dabei sein, auch mal eine Druckform stemmen, beim Holzschneiden oder dem Schleifen eines Lithosteins zusehen und begreifen, welch schwere körperliche Arbeit das war (und ist). Also ohne nostalgischen Rückblick Respekt entwickeln …
Einen zentralen und dabei besonders schönen Beitrag zur Vermittlung bildet das seit 2017 erscheinende Magazin zur Messe. In ihm werden einzelne Aussteller mit ihren Arbeiten vorgestellt, Herstellungsverfahren erläutert und auf besondere Attraktionen der Messe hingewiesen. Wie ist es zu diesem Magazin gekommen, das ja schon allein durch seine Optik und Haptik zum Sammlerstück taugt, und wie kann man es bekommen?
Es gab bei allen bisherigen Messen Ausstellerverzeichnisse, die mit dem Ende der BuchDruckKunst ihren Zweck erfüllt hatten. Ich wollte das Ganze modisch gesagt „nachhaltiger“ gestalten, also zusätzlich inhaltliche Beiträge bringen, die das Magazin auch nach der Veranstaltung lesenswert machen. Gedruckt auf einem Naturpapier, das den Arbeiten der ausstellenden Künstler und Editionen gerecht wird. Das Konzept hat sehr guten Anklang gefunden, in diesem Jahr ist es mit einem im Handsatz und im Buchdruck hergestellten Cover besonders schön geworden. Jeder Besucher erhält mit seiner Eintrittskarte ein Exemplar.
Die Zahl der Buchkünstler, die auf den großen Buchmessen Frankfurt und Leipzig ausstellen, ist in den vergangenen Jahren eher rückläufig. Umso größer ist die Bedeutung, die den regionalen Veranstaltungen zukommt, Messen wie der artbook berlin, der Buchkunst Weimar oder eben der BuchDruckKunst Hamburg. Was ist das Besondere an der BuchDruckKunst?
Das Besondere ist die Atmosphäre im Museum, die Mischung von Produktion und Präsentation. Ob Papierschöpfen, Buchbinden, Buch-, Stein- oder Tiefdruck, Hand- und Maschinensatz, Holzletter-Herstellung: Es gibt für die Besucher aller Altersgruppen viel zu sehen. Die besondere Attraktion in diesem Jahr ist die Präsentation des restaurierten Modells einer Zeitungsrotationsmaschine.
Zum Abschluss möchten wir immer gern wissen: Was für Projekte werden dich in diesem Jahr beschäftigen?
Offen gesagt: Das weiß ich noch nicht genau. Die letzten Monate waren so voll mit Produktionen und Vorbereitungen zur BuchDruckKunst, dass ich erst einmal den Kopf wieder freibekommen muss. Der nächste feststehende Termin ist die Frankfurter Buchmesse im Oktober, bis dahin wird etwas passieren. Ein Drucker braucht eben immer Druck …
Lieber Klaus, wir wünschen Dir und allen Ausstellern eine rundum gelungene Messe mit ganz vielen interessierten Besuchern am nächsten Wochenende und bedanken uns sehr für dieses informative und nette Gespräch.
Klaus Raasch ist Drucker, Gestalter, Fotograf und Verleger von Künstlerbüchern mit Originalgrafiken. Als Inhaber der Edition Klaus Raasch verlegt er eigene Arbeiten und Kooperationswerke mit anderen Künstlern und Schriftstellern, auf seinem Blog Schnittstellen gibt es regelmäßig Neuigkeiten aus seinem Atelier. Seit 2017 verantwortet er die BuchDruckKunst-Messe im Museum der Arbeit.
© der Fotos: Jürgen Meyer, Klaus Raasch, Michael Zapf